Arbeit 4.0 durch Corona: Nachhaltiger Trend oder Strohfeuer in der öffentlichen Verwaltung?
"Viele kurzfristige Notfallmaßnahmen werden zu einem festen Bestandteil des Lebens werden. Das liegt in der Natur von Notfällen. Sie beschleunigen historische Prozesse."
Yuval Noah Harari, Autor "Eine kurze Geschichte der Menschheit"
Krisenzeiten wie die aktuelle Zeit der Pandemie, sind Treiber für Innovation und Anstoß für Veränderungen. Neue Bedürfnisse und zeitlicher Druck beschleunigen das Tempo von bereits eingeleiteten Veränderungsprozessen zusätzlich. Doch können diese Veränderungen nachhaltig verankert und die Spur der Beschleunigung gehalten werden? Die stärkere Etablierung von Arbeit 4.0 in der öffentlichen Verwaltung ist ein Beispiel für eine mögliche Innovation. Eine von der Cassini Consulting AG durchgeführte Studie mit Vertretern der Bundes-, Landes- und Kommunalebene bestätigt den aktuellen Trend: die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung ist von zunehmender Digitalisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung geprägt. Aus den Studienergebnissen lässt sich jedoch auch ablesen, dass sich nicht jeder Aspekt von Arbeit 4.0 in Krisenzeiten in voller Blüte entfaltet und einige aktuelle Veränderungen in der Arbeitsweise keine dauerhaften Spuren hinterlassen zu scheinen.
Arbeit 4.0 als neue Normalität von morgen?
Die Studie ist eine Bestandsaufnahme und wagt einen Blick auf das, was am Arbeitsplatz "gestern" noch Normalität war, "heute" schon zum neuen Alltag gehört und "morgen" vielleicht schon dauerhafte Spuren hinterlassen haben wird.
Methodik
Zwischen April und Juni 2020 beteiligten sich insgesamt 60 Teilnehmer*innen aus Bund (31), Land (15), Kommune (11) und weitere Vertreter*innen der öffentlichen Verwaltung (3) an der Online-Umfrage. Sie repräsentieren in erster Linie die Bereiche Digitalisierung/IT, verschiedene Fachbereiche und Personal/Organisation.
Auf 5-Punkt-Skalen haben diese Teilnehmer*innen ihrer Zustimmung zu wissenschaftlich entwickelten Aussagen (Poethke et al., 2019) und einigen selbstständig aufgestellten Thesen zur aktuellen Entwicklung von „Arbeit 4.0“ in ihrer persönlichen Arbeitsrealität Ausdruck verliehen: „Kerndimensionen sind die Digitalisierung, die Flexibilisierung, die Entgrenzung sowie die Mitbestimmung bei der Arbeit und deren Relevanz“ (Poethke et al.; 2019).
Im Fokus der Studie stehen drei dieser Kernbereiche: Digitalisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung. In diesen Bereichen lassen sich Erkenntnisse zur Digitalisierung der Arbeitsprozesse und der Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit gewinnen und darüber hinaus ermitteln, inwiefern die Grenzen zwischen der Arbeitstätigkeit und dem privaten Leben verschwimmen.
Digitalisierung erhält einen nachhaltigen Impuls
„Die öffentliche Verwaltung hat auf Landesebene nicht die notwendige Infrastruktur und Hardware, um alle Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten lassen zu können.“ Fachbereich - Land
Im Ergebnis sehen wir: Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse erhält einen nachhaltigen Impuls. Besonders virtuelle Meetings und Videokonferenzen sowie die digitale Zusammenarbeit von Kollegen an Arbeitsergebnissen haben in den Krisenzeiten im Homeoffice deutlich zugenommen und werden auch in Zukunft in ähnlichem Ausmaß als nachhaltige, etablierte Veränderung erwartet. Das hohe Niveau allgemeiner IT-Nutzung und die Verwendung digitaler Medien wird beibehalten. Diese Entwicklung eröffnet das Potential, die digitalen Arbeitsprozesse zu institutionalisieren und auf ein beständiges Fundament zu heben. Die Beschaffung und Einführung zukunftsfähiger und geprüfter Lösungen begleitet von Trainings und Befähigung sind Voraussetzungen, dieses Potential zu realisieren und langfristig von den neuen Erfahrungen in den Krisenzeiten zu profitieren.
Die Flexibilität der Arbeitsbedingungen erreicht ein neues Level
„Durch Corona sind wir schnell in die Lage gekommen, Lösungen bereitzustellen und bisherige Bedenken konnten zunächst ausgeräumt werden. Aktuell lässt sich allerdings wieder ein gegenläufiger Trend erkennen.“ Digitalisierung & IT - Bund
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen wird durch die vermehrte Nutzung von Homeoffice und eine freiere Zeiteinteilung vorangetrieben. Sowohl im aktuellen Ausnahmezustand als auch zukünftig werden diese Elemente von Arbeit 4.0 in der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen und erwartet. Kommunikation und Eigenverantwortung verändern sich nicht erheblich. Der feste Beginn der Arbeitszeit ist bereits aufgelöst und wird durch die aktuellen Maßnahmen nicht wesentlich kurz- und langfristig beeinflusst. Die Chance, die Akzeptanz von Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten nachhaltig zu steigern, kann ohne klare Regeln und die notwendigen technischen Voraussetzungen nicht genutzt werden.
Die aktuelle Entgrenzung bietet Erfahrungswerte
„Ich sehe aber auch die Gefahr, sich selbst sozial auszuschließen. Persönliche Zusammentreffen sind sehr wichtig. Außerdem berichten Kollegen, dass sie im Homeoffice weniger Pausen einlegen und Gefahr laufen, sich zu überlasten - und das ohne den Druck durch Vorgesetzte.“ Digitalisierung & IT - Bund
Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung zeigen sich in Krisenzeiten engagiert und sind bereit, in gewissen Maß, die Grenzen zwischen ihrer Arbeitstätigkeit und ihrem privaten Leben verschwimmen zu lassen, so die Ergebnisse der Befragung. Diese Entgrenzung, beispielsweise durch erhöhte Erreichbarkeit auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, wird jedoch den Studienergebnissen zufolge nicht nachhaltig Einzug in die Arbeitsrealität der öffentlichen Verwaltung halten. Führungskräfte sollten eine Balance daraus anstreben, diese Bemühungen anzuerkennen und gleichzeitig ihre Mitarbeiter*innen dazu ermutigen, Grenzen im Sinne der Einhaltung von Erholungszeiten nicht vollständig aufzugeben und die besondere Bereitschaft nicht langfristig überzustrapazieren. Während eine neue Work-Life-Balance geschaffen werden kann, sollte die Entgrenzung auf Gegenseitigkeit beruhen.
Kurzfristige Notfallmaßnahmen entfalten das Potential für Arbeit 4.0 in der öffentlichen Verwaltung
Die aktuell veränderten Arbeitsbedingungen konnten nicht frei gewählt werden und bergen neben Chancen auch Risiken und außergewöhnliche Belastungen. Wie wird die Arbeitsrealität nach der Corona-Pandemie also tatsächlich aussehen? Haben die kurzfristigen Notfallmaßnahmen langfristige positive Effekte? Fest steht, dass die Arbeitsbedingungen in der öffentlichen Verwaltung eine ungeahnte Modernisierung erfahren haben und sich auch für die Zukunft ein Potential für digitalisierte Arbeitsprozesse und flexiblere Arbeitsbedingungen eröffnet hat. Entgrenzung kann als Facette von Arbeit 4.0 keinen nachhaltigen Effekt entfalten, jedoch stehen Erfahrungswerte von kurzfristiger Entgrenzung als Grundlage für ein zukünftig neues Verständnis einer Work-Life-Balance zur Verfügung. Mit Bemühungen um eine langfristige Etablierung von neuen Arbeitsprozessen, der Schaffung von technischen Voraussetzungen und Offenheit für beschleunigte Veränderung kann das "neue Normal von heute" die Chance für ein "neues Morgen" in der öffentlichen Verwaltung sein.
Download der Studien-Ergebnisse
Die detaillierten Ergebnisse unserer Studie können Sie sich hier herunterladen.
Ihre Ansprechpartner zur Studie
Sie haben Fragen zu unserer Studie oder möchten an unseren Workshops teilnehmen?
Kontaktieren Sie uns gerne!